... der Anwaltsvertrag und das Fernabsatzrecht
Mit den Tiefen und Untiefen der anwaltlichen Tätigkeit hat sich der Bundesgerichtshof mit seiner Entscheidung vom 09.03.2018, IX ZR 204/16, befasst.
Die anwaltliche Tätigkeit ist damit auf den Boden der Tatsachen gelandet. Der Leitsatz lautet: „Anwaltsverträge können den Regeln für den Fernabsatz unterfallen und als solche widerrufen werden.“ Der Bundesgerichtshof reagiert damit auf den Umstand, dass es in einigen Teilbereichen der Anwaltstätigkeit mittlerweile üblich ist, den Mandanten nicht mehr in die Augen schauen zu müssen (in einigen Fällen ist das sicherlich auch eine Frage des Könnens).
In der idealisierten Vorstellung des Mandanten ist die anwaltliche Tätigkeit ein von Ehre und Wahrhaftigkeit geprägtes Vertragsverhältnis, bei dem man sich in die Augen schaut, mal Hände schüttelt und dem anwaltlichen Vertragspartner voll und ganz vertraut. Der Anwalt im Gegenzug geht davon aus, dass er von seinem Mandanten für seine Leistungen – gleichermaßen ehrenhaft – sein Honorar erhält.
Bedauerlicher Weise sieht die Praxis anders aus. Der Bundesgerichtshof hat nunmehr entschieden, dass für den Fall, dass Anwälte Verträge mit ihren Mandanten abschließen, ohne diese jemals in Augenschein genommen zu haben, die Voraussetzungen für einen Fernabsatz vorliegen können. Es soll nur darauf ankommen, ob der Vertrag ohne gleichzeitige körperliche Anwesenheit der Vertragsparteien abgeschlossen wurde. Ist dies der Fall, wird widerleglich vermutet, dass der Vertragsschluss im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt ist.
Wer die Entscheidung genau liest, wird in Bezug auf die anwaltliche Tätigkeit das Wort „Strukturvertrieb“ wiederfinden. Dies überrascht – allerdings nur teilweise.
Klagegegenstand war eine Forderung gegen einen Kapitalanleger. Dieser hatte zunächst offensichtlich sein Geld beim Investment in einen Fonds verbrannt und sollte nun zusätzlich noch für die weniger erfolgreichen und aussichtsreichen Leistungen eines Anwalts zahlen, der ihm wohl ebenfalls über einen Strukturvertrieb zugeführt wurde. Mit der Entscheidung wird wohl die allgemein bestehende Kontaktallergie der Obergerichte gegen Strukturvertriebe aufgegriffen und klargemacht, dass für den Abschluss von Geschäften mit Anwälten nichts anderes gelten kann als für den Abschluss von sonstigen Geschäften im Strukturvertrieb.
Was bedeutet das für die Praxis?
Für Unternehmer ändert sich grundsätzlich nichts. Der Fernabsatzvertrag ist ein Vertrag zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher. Der zwischen einem Unternehmen und dem Anwalt abgeschlossene Vertrag unterfällt daher grundsätzlich erst einmal nicht den Regelungen über den Fernabsatz.
Bedeutsam ist die Entscheidung für Anwälte und Verbraucher, die sich zum Zeitpunkt des Mandatsabschlusses nicht persönlich begegnet sind. Der zufriedene Mandant wird sicherlich nicht auf die Idee kommen, die Leistungen seines Dienstleisters nicht bezahlen zu wollen. Allerdings werden auch hier sicherlich wieder kuriose Blüten auftreten. Gegenüber dem unzufriedenen Mandanten hat es aber der Anwalt nach der Maßgabe des Fernabsatzgesetzes schwer, seine Honorarforderung durchzusetzen.
Bei Fragen rund um dieses Thema steht Ihnen Rechtsanwalt und Wirtschaftsmediator Michael Hemmerich gerne zur Verfügung. Er ist Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht und Zertifizierter Sanierungsberater (BRSI), erreichbar unter der Email mh(at)mhanwaelte.de oder telefonisch unter +49 (0) 69 530875-0.